Auf dem Weg zur vernetzten Gesundheitsversorgung: Fragen an die Exportinitiative Gesundheitswirtschaft

 

Die Digitalisierung verändert das deutsche Gesundheitswesen in rasantem Tempo – von der elektronischen Patientenakte über KI-gestützte Diagnostik bis hin zu internationalen Kooperationen. Welche Chancen ergeben sich daraus für deutsche Unternehmen, und wie können sie ihr Know-how weltweit einbringen? Darüber geht es im Interview mit Stefanie Zenk, Deputy Director bei Germany Trade & Invest.

1. Das deutsche Gesundheitssystem steht vor einem umfassenden digitalen Wandel. Wie sind die Unternehmen der deutschen Branche dafür aufgestellt? 

Die Digitalisierung hat das deutsche Gesundheitswesen längst erreicht und nimmt aktuell noch einmal deutlich an Fahrt auf. Zahlen belegen das: So betrug das jährliche Umsatzplus im Bereich Digitale Gesundheitswirtschaft bereits seit 2015 durchschnittlich sechs Prozent und lag damit deutlich höher als in anderen Bereichen der Branche. Bei den Exporten lag das durchschnittliche Wachstum hier bei immerhin 5,7 Prozent. 

Für Veränderungen sorgt die Digitalisierung entlang der gesamten Versorgungskette – von der Diagnostik über die Therapie bis hin zur Nutzung von Gesundheitsdaten. Stichworte sind unter anderem die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) und die Entwicklung digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) für die Patientinnen und Patienten. Ein Schlüsselthema hier ist die Künstliche Intelligenz (KI). Sie hilft, Krankheiten zu erkennen, Diagnosen präziser zu stellen und Therapien individuell anzupassen. Die Nutzung mobiler Anwendungen stärkt zudem die Gesundheitskompetenz der Patientinnen und Patienten und fördert ihre selbstbestimmte Rolle im Behandlungsverlauf. 59 solcher digitalen Anwendungen wurden - basierend auf dem Digitalgesetz (DigiG) von 2024 - aktuell in Deutschland bereits entwickelt und in das zentrale DiGA-Register aufgenommen. 

Im Zentrum der Digitalisierung stehen außerdem Krankenhäuser. Um für eine bessere Versorgung, effizientere Abläufe und mehr Sicherheit zu sorgen sowie die Behandlungsqualität zu steigern, investieren Bund und Länder hier bis zu 4,3 Milliarden Euro. Gefördert werden im Rahmen des Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG) Projekte wie Patientenportale, die den Informationsaustausch erleichtern, digitale Dokumentation und Medikationsmanagement, aber auch die IT-Sicherheit und der Ausbau von telemedizinischen Netzwerken.

Stefanie Zenk
Stefanie Zenk
Deputy Director
Germany Trade & Invest
Stefanie Zenk

Stefanie Zenk

Deputy Director
Germany Trade & Invest

Stefanie Zenk (LL.M.) betreut seit vielen Jahren Unternehmen bei der Internationalisierung. Seit 2016 ist sie für Germany Trade & Invest bei der Exportinitiative Gesundheitswirtschaft Ansprechpartnerin für die Branchen Medizintechnik und Digitale Gesundheitswirtschaft.

2. Wie unterstützt Germany Trade & Invest deutsche Unternehmen dabei, ihre Expertise auch außerhalb Deutschlands anzubieten und Innovationen erfolgreich zu skalieren?

Zentrale Aufgabe der Exportinitiative Gesundheitswirtschaft (EXGW), die Teil von Germany Trade & Invest ist, ist die ständige Beobachtung und Analyse der internationalen Märkte im Bereich der Gesundheitswirtschaft. Die Initiative stellt in diesem Zusammenhang ein breites Spektrum an Informationsangeboten bereit: 

  • Marktanalysen und Länderberichte liefern fundierte Einblicke in Nachfrage, Wettbewerbsumfeld und Trends.
  • Regulatorische Leitfäden und Erstattungsinformationen helfen, Zulassungsprozesse und Kostenerstattungssysteme in Zielmärkten zu verstehen.
  • Aktuelle Meldungen und Fokusthemen informieren über Ausschreibungen, Förderprogramme und politische Entwicklungen – von Medizintechnik über digitale Gesundheitslösungen bis hin zur Biotechnologie. 

Das Angebot richtet sich insbesondere an kleine und mittelständische Unternehmen sowie Start-ups, die sich neue (lukrative) Märkte im Ausland erschließen und ihre innovativen Produkte global am Markt positionieren wollen. Den Zugang zu internationalen Märkten eröffnet ihnen die Exportinitiative Gesundheitswirtschaft (EXGW) durch: 

  • Präsenz auf Leitmessen und Konferenzen,
  • gezielte Angebote zur Geschäftsanbahnung und Vernetzung,
  • Unternehmerreisen in strategisch wichtige Zielmärkte
  • und Plattformen, auf denen Unternehmen direkt mit potenziellen Geschäftspartnern ins Gespräch kommen können. 

Darüber hinaus profitieren Unternehmen von verschiedenen Beteiligungsmöglichkeiten. Dazu gehören Gemeinschaftsstände auf internationalen Fachmessen oder Matchmaking-Events mit Entscheidungsträgern aus Wirtschaft, Politik und Verbänden. Unternehmen erhöhen so ihre Sichtbarkeit und werden Teil eines Netzwerkes, das den Markteintritt erleichtert. 

Was das in der Praxis konkret bedeutet, zeigt das Beispiel eines mittelständischen Herstellers von Medizintechnik, der an einer von der EXGW organisierten Unternehmerreise nach Indien teilnahm. Am Bundesgemeinschaftsstand konnte er dort seine Produkte präsentieren und informierte sich in persönlichen Gesprächen mit Klinikbetreibern und Distributoren über die Anforderungen des indischen Marktes. Mit Erfolg. Im Ergebnis wurde ein Vertriebsvertrag mit einem lokalen Partner geschlossen, der den Markteintritt des deutschen Unternehmens erheblich beschleunigte.

3. Digitale Gesundheit entsteht zunehmend im Zusammenspiel zwischen Start-ups, Forschungseinrichtungen und globalen Konzernen. Welche Rolle spielt internationale Zusammenarbeit für den Ausbau des deutschen Digital-Health-Ökosystems? 

Internationale Kooperationen sind kein „Nice-to-have“. Sie sind vielmehr entscheidend, um neue digitale Lösungen, Standards und Innovationen sowohl für den deutschen Markt als auch für die globale Gesundheitsversorgung zu entwickeln. Schätzungen zufolge könnte der Umsatz auf dem weltweiten Digital-Health-Markt dank internationaler Kooperationen bis 2029 auf über 235 Milliarden Euro steigen – mehr als die Hälfte davon im Bereich digitale Behandlung und Pflege. [gtai.de] 

Durch den Ausbau eines starken deutschen Digital-Health-Ökosystems im Zusammenspiel mit internationalen Partnern eröffnen sich neue Märkte und die Gesundheitsversorgung weltweit wird verbessert. Denn globale Versorgungsnetzwerke, die zunehmend digital und dezentral entstehen, steigern nicht nur die Effizienz, sondern stärken auch die Gesundheitssysteme in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Ein Beispiel dafür sind Programme wie das Sektorvorhaben Globale Gesundheit der GIZ. [gtai.de] 

Was das konkret für deutsche Unternehmen bedeutet? Bei der gemeinsamen Entwicklung von digitalen Therapeutika und Versorgungsmodellen für den internationalen Markt durch Forschungseinrichtungen, Start-ups und etablierte Unternehmen spielt deutsches Know-how eine zentrale Rolle. Dieses reicht von KI-gestützter Diagnostik bis hin zu vernetzten Plattformen für die Patientenversorgung. Impulse setzt hier die de:hub-Initiative. Sie vernetzt Start-ups, Mittelstand und Forschung in 25 digitalen Innovationshubs – unter anderem mit Schwerpunkten wie HealthTech und KI. So fördert die Initiative den Austausch von Technologie und Wirtschaftsexpertise und eröffnet deutschen Unternehmen gleichzeitig die Chance für internationale Kooperationen. [de-hub.de] 

Parallel dazu unterstützt Germany Trade & Invest (GTAI) mit der Exportinitiative Gesundheitswirtschaft die Internationalisierung der Digital-Health-Branche durch ihre Angebote. (siehe oben)

4. Mit Blick auf die kommenden Jahre: In welchen Bereichen sehen Sie weltweit das größte Wachstumspotenzial für die digitale Gesundheitswirtschaft? 

Vom Fachkräftemangel über die Qualitätssteigerung medizinischer Produkte bis hin zur globalen Versorgungssicherheit: Weltweit befindet sich die Gesundheitsbranche in einem Prozess der digitalen Transformation, die auch deutschen Unternehmen große Chancen bietet. Dank der intensiven Marktbeobachtung durch die Exportinitiative Gesundheitswirtschaft können sie schnell auf aktuelle Entwicklungen beispielsweise in Ländern mit IT-affiner Bevölkerung reagieren sowie von Digitalisierungsstrategien und Investitionsprogrammen weltweit profitieren. 

Bereits jetzt zeichnet sich im In- und Ausland eine rasante Entwicklung bei der Entwicklung von innovativen Technologien und digitalen Gesundheitsanwendungen wie Smartphone-Apps und Online-Verfahren (Telemedizin) ab, die sowohl den Patienten zugutekommen als auch die bürokratischen Abläufe innerhalb der Versorgungseinrichtungen vereinfachen. Jüngste Rechtsinitiativen zielen darauf ab, die Nutzung und Erstattungsmöglichkeiten dieser digitalen Anwendungen – und damit auch den Umsatz - zu erhöhen. 

Ein ebenso großes Wachstumspotenzial liegt in der medizinischen KI-Forschung und der Entwicklung von KI-Anwendungen, die laut Umfragen eine Mehrheit der Bevölkerung befürwortet. Deutlich erleichtert werden innovative Ansätze hier durch das im März 2024 in Kraft getretene Gesundheitsdatenverwendungsgesetz, das auch forschungsorientierten Unternehmen Zugriff auf Gesundheitsdaten für die Forschung und Entwicklung von Medizinprodukten und neuen Behandlungsmethoden gewährt. 

Für ein funktionierendes Datenökosystem im Gesundheitswesen sind bei der Entwicklung von KI-Anwendungen außerdem die Bereiche Cybersecurity, Datenschutz und die Datenhoheit der Nutzenden von entscheidender Bedeutung. Sie bilden die Grundlage für eine personalisierte und passgenaue Gesundheitsversorgung und unterliegen höchster Sorgfaltspflicht. Um sich hier von Cloudanbietern und Sprachmodellen unter anderem aus den USA unabhängig zu machen, haben Deutschland und Frankreich aktuell eine Initiative zur Stärkung der europäischen Souveränität gestartet. Auch hier könnten deutsche Unternehmen aus der Gesundheitsbranche maßgeblich beteiligt sein.

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